Roger Waters 27.3.2023 Mailand, Mediolanum Forum

Von Oskar Giovanelli

Organisation/Drumherum:

Location ist das Forum Assago, wo ich RW bereits 2006 und 2011 live gesehen hatte.

Alles sehr gut organisiert, es gibt kaum Wartezeiten.

Mein Platz ist leider etwas weit oben seitlich. Somit ist mein Fokus auf der Media-Show und weniger auf den einzelnen Bandmitgliedern, die ich nur ganz klein sehe. Ich bin auf der Seite von Gus Seyffert und Jonathan Wilson…. Eher suboptimal. Mir wurde durch vorangegangene Diskussionen über Waters’ Verhalten und Aussagen zu politischen Themen und DSOTM zwar etwas die Vorfreude auf das Konzert etwas vermiest, muss aber sagen, dass ich jetzt sehr froh bin, dass ich das Konzert besucht habe. Ein wundervolles Erlebnis, ich würde mir die Show gerne noch einmal ansehen, diesmal von unten …

Die Show:

Das hier ist eine Show, kein Konzert. Ein Mix aus Varieté und Liedern. Ein Mix aus Polit-Agitation und Narzissmus. Immer wieder, während der Show, werden Texte eingeblendet, die (unter anderem) von verschiedenen Lebens-Etappen Roger’s erzählen. Waters selbst erzählt diesmal auch gerne und lang verschiedene Anekdoten (zum Beispiel vor „The Bar“, aber auch in der zweiten Hälfte). Er zelebriert Julian Assange, seinen (letztes Jahr verstorbenen) Bruder, sein Lebenswerk, seine Zeit mit Pink Floyd, seine Kindheit, aber vor allem zelebriert Waters sich selbst.

Die Show selber ist – wie immer – perfekt. Der Sound ist kristallklar und laut, die Musiker sind top, die Videos und Light-Show wie immer hochprofessionell. Man kommt nicht umhin, man muss Waters einfach zugestehen, dass er – in punkto Live-show – weiterhin Maßstäbe setzt!

Die Songs:

Obwohl in Bezug auf die „Us & Them“ Tour nur 5-7 Songs ausgetauscht wurden, fühlt sich dieses Konzert komplett anders an. Die Songs wurden teilweise umarrangiert, vor allem natürlich „Comfortably Numb“. Aber auch das Einbetten in diesen neuen „Show-Erzählstrang“ bewirkt, dass die Songs anders wahrgenommen werden. Beinahe alle Songs der „Lockdown Sessions“ sind in dieser Show vertreten.

ABITTW wird gemeinsam mit Part 3 gespielt, The Powers that be kommt live extrem gut in dieser neuen Version, während Bravery of Being out of Range langsamer gespielt wurde, mit neuer Textzeile versehen, identisch mit der Version der Lockdown Sessions. Der neue Song „The Bar part1“ haut niemanden vom Hocker, erinnert von der Akkordfolge an „Crystal Clear Brooks“ und „Part of me died“ und wird von Roger am Klavier vorgetragen (wie auch Bravery). Roger spielt auf diesem Konzert übrigens Bass, Gitarre und Klavier und singt ALLE Songs (bis auf Money) selber, definitiv nicht Playback, da er manchmal auch danebenhaut. Have a Cigar ist sehr knackig gespielt. WYWH ist für mich der schwächste Song des Abends. Erbärmlich von Roger gesungen, zum Glück vom italienischen Publikum über“stimmt“, das hingebungsvoll mitsingt.

Shine on 6-9 wird mit Part 5 gespielt, Sheep haut alle vom Hocker, extrem druckvoll und hart gespielt. Ich würde sagen der Song ist in punkto Message (siehe weiter unten) das Highlight der Show.

In der zweiten Hälfte, nach In the Flesh (inkl. Publikumsbeschießung) wird Run like Hell in etwas verlängerter Form gespielt. Déjà-vu wird hier erstmals komplett (also mit der Reprise) gespielt und im Mittelteil mit Sax- und Gitarrensolo verziert. Der Song kommt somit auf eine Länge von etwa 9 Minuten. Riesen-Überraschung ist der Titelsong von ITTLWRW, der live wirklich sehr sehr gut funktioniert.

Dann kommt es zur 2. Seite von Dark Side. Hier ist vielleicht „Any Colour you like“ am interessantesten, da die Band hier toll drauflos jammt.

Nach dem Dark Side Finale wird noch Two Suns in the Sunset gespielt, wobei Roger tiefere Stimmregister nutzt, was besonders bei „…and you never hear their Voices …“ auffällt.

Danach kommt mit The Bar Part 2 der Song, der den Kreis des Abends thematisch abschließt. Es wird über verlorene Liebste gesprochen und gesungen. Roger macht eine wundervolle Hommage an seinen Bruder John, der letztes Jahr verstorben ist. Letztendlich kommt der Titel der Show ja von dieser Zeile: „everytime you lose a loved one it serves to remind you, that this is not a drill“. Diesmal ist der Song allerdings intimer und akustischer vorgetragen, mit eben dem gleichen Instrumentarium wie Outside the Wall, welches hinter den Kulissen in den Umkleidekabinen endet.

Die Message:

Wie immer hat Rogers Show einen roten Faden und wie immer schafft er es, die Songs seines Werkes immer neuen Themen anzupassen.

Zu Beginn der Show gibt es 2 Forderungen:

  1. Schaltet eure Handys aus
  2. Wenn ihr meine Politik nicht wollt, dann verfickt euch gefälligst an die Bar.

Diese beiden Forderungen stehen in Zusammenhang! Denn natürlich hält sich 1. niemand an Rogers Anweisung (es reicht ja YouTube nach Videos der Show zu durchstöbern) und 2. ist die Bühne „The Bar“, wie Roger nach den ersten 5 Songs erklärt. Die Bar ist schließlich eigentlich der Ort wo Meinungen und Diskussionen ausgetauscht werden, sagt Roger. Also hält sich grundsätzlich niemand an Rogers Politik.

Als (später) vor Sheep Roger wie ein Schaf blökt und das Publikum brav zurückblökt, kommt mir der Verdacht ob wir nicht alle Schafe sind…. De facto fliegt Brian (Das Schaf) umher und auf den Bildschirmen tummeln sich 1000e Schafe herum. Plötzlich beginnen am Bildschirm Postings von Social Media zu scrollen … sind es jene Postings, welche die Konzertbesucher grade posten? Und dann beginnt Roger mit dem Sheep-Gebet:“The Lord is my Shepherd, I shall not want. He leads me to Green pastures….“. Und spätestens da macht es „klick“: wir sind die Informations-Schafe und unser Hirte/Gott ist der Logarhythmus!

Ich fand diese Message genial und mehrschichtig durchdacht. Wahrscheinlich wird der Großteil des Publikums diese Botschaft nicht mitkriegen, langjährige Kenner der Waters-Logik hingegen werden die Songtexte weiterhin als unsterblich preisen.

Alle weiteren Botschaften gegen den Krieg, gegen die nordamerikanischen Präsidenten, gegen den Konsumismus sind ja bereits bekannt. Es gibt übrigens in keinem einzigen Moment einen Kommentar zur Ukraine oder Russland oder antisemitische Äußerungen (im Gegenteil, die Schrift „Fuck Anti-Semitism“ scheint während Déjà-vu auf). Roger hält sich viel genereller mit seiner Botschaft als noch während der Us & Them Tour. Man wird kontinuierlich mit Parolen und Slogans gefüttert, die sogar mit italienischen Untertiteln übersetzt werden.

Der Rest ist Selbstlob! Roger zelebriert sich selbst von Geburt bis heute, indem er gekonnt David Gilmour komplett aus der PF-Geschichte ausradiert. Wie er selbst zu Beginn der Show sagt:

Control the narrative and you rule the world.

Heute Abend kontrolliert Roger Waters die Erzählung

Konzert-Statistik:

Spielstätte: Mediolanum Forum Di Assago
Plätze:
Adresse:
Tickets: 50 bis 105 €
Einlass: 19:00 Uhr | Showtime: 21:30 Uhr

Band:
Roger Waters: Vocals, Bass, Piano, Guitar
Joey Waronker: Drums
Jonathan Wilson: Guitars, Vocals
Gus Seyffert: Guitars, Bass, Harmonica
Dave Kilminster: Guitars, Bass, Backing Vocals
Jon Carin: Keyboards, Guitars, Backing Vocals
Robert Walters: Keyboards
Amanda Belair: Vocals
Shanay Johnson: Vocals
Seamus Blake: Saxophon

Setlist:
Set 1
01. Comfortably Numb (reworked Version)
02. The Happiest Days of Our Lives
03. Another Brick in the Wall (Part 2)
04. Another Brick in the Wall (Part 3)
05. The Powers That Be
06. The Bravery of Being Out of Range
07. The Bar (unreleased new Song)
08. Have a Cigar
09. Wish You Were Here
10. Shine On You Crazy Diamond (Parts 6-9)
11. Sheep (Flying Sheep Brian)

Set 2
12. In the Flesh 4:50
13. Run Like Hell (Flying Pig)
14. Déjà-vu

15. Déjà Vu (Reprise)
16. Is This the Life We Really Want?
17. Money
18. Us and Them
19. Any Colour You Like
20. Brain Damage
21. Eclipse
22. Two Suns in the Sunset
23. The Bar (Reprise) (unreleased new Song)
24. Outside the Wall

9 Antworten

  1. Werner Werner sagt:

    Lieber Oskar, vielen Dank für den ausführlichen Bericht. Hat Jon Carin auch mitgespielt?

    • Oskar Oskar sagt:

      Lieber Werner. Sehr gerne leiste ich meinen Beitrag zu Deiner tollen Seite.
      Und bezüglich deiner Frage eine Gegenfrage: “wer bitte?”

  2. Avatar Murph sagt:

    Vielen Dank für den sehr tollen und sehr aussagekräftigen Bericht!!

  3. Avatar Hetwig sagt:

    Ich war am 31.03. in Mailand. Hatte einen recht guten Platz (ziemlich weit unten, Reihe 5 Ostseite). Mir hat das Konzert sehr gefallen, insbesondere war die Akustik recht gut. Bei mir kamen “shine on….”, “money” “sheep” und “two suns…” gut weg. “ABITW2” hat mir hingegen gar nicht gefallen. Da kam mir vor, dass die Band das Lied nur deshalb spielt, weil es sein muss. Aber insgesamt war es ein sehr gelungenes Konzert.

  4. Avatar Alois sagt:

    Danke für den Bericht, Oskar! Ich war am 1. April da und kann deine Eindrücke nur bestätigen. Ein sehr gelungenes Wochenende in Mailand, gute Organisation vor Ort, tolles Publikum und keinerlei Diskussionen, wie sie im deutschsprachigen Raum vorkommen. Einzig eine Gruppierung, welche Julian Assange unterstützt, war vor und in der Halle präsent. Die Show einzigartig, ab und zu übertriebene Slogans und die Videoanimationen ziemlich ungleich von der Qualität her, der Sound, die Setlist und die Band jedoch absolut spitze. Ich freue mich auf das Konzert in Frankfurt, so es denn stattfinden soll!

  5. Avatar Christian sagt:

    Danke Oskar, für diesen tollen Bericht! Sah Roger bisher am 1. April in Milan, sowie am 4. und 6. in Amsterdam und kann die Impressionen so nur bestätigen!

  6. GeckoFloyd GeckoFloyd sagt:

    Herzlichen Dank auch von mir für den sehr schönen und hervorragend geschriebenen Bericht!
    Es klingt alles so, wie ich es von NY letztes Jahr in Erinnerung habe, außer das mit den Einblendungen der Social Media Dingsbums.
    Nach monatelangen Hin- und Her-Gefühl, was ich mit meinen beiden Karten denn nun mache, steht es nicht mehr bei 50:50, sondern werde wohl mir Roger noch einmal in meiner Heimat-Stadt München anschauen. Ich hatte schon Karten längst bevor Roger mit seinen kruden Äußerungen (wovon mich am meisten die über seine Ex-Kollegen nerven).
    Würde mich freuen, Dich zu treffen, btw, wenn Du noch kein Ticket hast, Oskar, kannst gerne eins von meinen haben, meine sind ziemlich weit unten vor der Bühne. Ich werde aber provokativ ein PINK FLOYD Hey Hey Rise Up T-Shirt tragen:-D

    • Avatar Janos sagt:

      Vielen Dank für die Idee mit dem Shirt. Übernehme ich 🙂 Ich habe mir für die Köln Show schon eins mit der ukrainischen Flagge gekauft, sieht aber ein bisschen drüber aus..

  7. Avatar Thomas sagt:

    Sehr guter Bericht welcher auch auf das gestrige Konzert in Zürich passt. Das ausradieren von Gilmour aus der Pink Floyd Geschichte ist total unnötig und hätte Roger eigentlich auch nicht nötig. Ist gestern um mich herum sehr vielen aufgefallen.
    Mir hat der neue Song “The Bar” eigentlich sehr gut gefallen. Tiefpunkt war “Is This the Life We Really Want?”

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