Pink Floyd soundchecking in Tampa

Pink Floyd 10.1994 London Earls Court

Von Patrick

Derzeit bin ich krankheitsbedingt für ein paar Tage an Bettruhe gebunden und bin auf YouTube auf ein für mich ganz besonderes Fundstück gestoßen, das ich gerne mit Euch teilen möchte. Da ich selbst E-Gitarre spiele und bereits mit meinem Lehrer zahlreiche PF-Stücke erarbeitet habe, ist die gefundene Version für mich von besonderer Bedeutung, da sie sich sowohl von den klanglich hochglanzpolierten offiziellen Veröffentlichungen als auch von den sonstigen Konzertmitschnitten abhebt. Bezüglich der uns als Fans verfügbaren Aufnahmen kann man zwischen verschiedenen Varianten unterscheiden:

Studio-Aufnahmen: Hier passt jeder Ton, es kann beliebig wiederholt und nachbearbeitet werden. Anspruch auf Perfektion besteht.

Offizielle Live-Veröffentlichungen: Es kann zwar nicht wiederholt werden, aber Nachbearbeitungen sind möglich wie nachträgliche Tonkorrekturen, um Verspieler zu verbessern. Aber auch Schnitte sind möglich, so z.B. bei der Pulse DVD ein gekürztes Solo bei Sorrow oder Comfortably Numb. Weiterhin kann editiert werden, so dass von verschiedenen Auftritten Passagen zusammengeschnitten werden. Dies ist z.B. bei High Hopes im Slide-Solo ebenfalls auf der Pulse DVD geschehen.

Dann haben wir die Bootlegs, die wir Fans während unserer Besuche gemacht haben. Oder auch Personen, die sich von einem illegalen Mitschnitt ein paar Mark/Euro/Dollar etwas Kommerz erhofften. Hier ist zwar alles live und keine Korrekturen sind gewollt, der Anspruch auf ein möglichst fehlerfreien und professionellen Auftritt besteht gerade bei PF dennoch zweifellos.

Und dann gibt es Soundchecks oder Proben (Rehearsals). Die Band ist ohne Publikum, testet das Equipment und studiert die Stücke ein. Fehler dürfen passieren und Raum für die ein oder andere Improvisation oder ein Scherz bleibt. Es herrscht Proberaumstimmung. Genau das ist, was mich an diesem Mitschnitt fasziniert. Ich erlebe eine Band, bei der nicht alles passen muss. Die Instrumentendisziplin ist nicht absolut streng. Hier und da eine kleine Soloeinlage zwischen den Stücken und irgendwie klingen unsere Pink Floyds nicht wie in der RAH oder dem Earls Court, auf der Astoria oder den Abbey Road Studios mit perfektem Sound, sondern wie beim Open-Air-Festival im Nachbardorf. Das ist in diesem Fall nicht negativ gemeint. Im Gegenteil, weil es ungefiltert, sehr persönlich und ehrlich rüberkommt und nochmal anders als bei einem Live-Konzert (ich war 1994 in Hannover und 2016 in Stuttgart dabei) oder den Barn Jams. Dadurch kenne ich die Bandmitglieder natürlich nicht besser, aber unsere Götter verwandeln sich für mich dadurch zu nahbareren Wesen. David verspielt sich und Rick verpasst einen Einsatz. Die Background-Sängerinnen gackern nach GGITS.

Soundchecking in Tampa, 5/5/1994

Das Fundstück datiert vom 5.5.1994 und ist von den Rehearsals in Tampa an einem auftrittsfreien Tag der Tour. Wen es interessiert, habe ich zu den einzelnen Stücken mal ein paar Auffälligkeiten notiert. Man merkt noch viele weitere Kleinigkeiten, aber ich denke, Ihr hört vieles auch selbst und will auch nicht oberlehrerhaft rüberkommen und jede Kleinigkeit überinterpretieren. Es ist und bleibt eine Probe auf einer Übungsbühne. Insgesamt fällt die direkte Akustik auf, die Instrumente und gerade auch die Stimmen sind sehr direkt und über gute Kopfhörer kommt sogar das Gefühl auf, man ist mit PF im Proberaum.

  1. Shine On You Crazy Diamond 12:36
    • David singt 2x “Shine On You Crazy Bastard”. Die Sängerinnen nicht, also eine spontane Eingabe. Was er damit ausdrücken möchte: Who knows?
  2. High Hopes 10:14
    • Die Glocke ist so präsent wie nie.
    • Davids Stimme ist sehr intim und nah. Gänsehaut. Kleine Texthänger/Nuscheleien und Verspieler inklusive. Wahnsinn.
    • David muss bei Übergang zum Slide Solo schnell sein, da Wechsel von Akustikgitarre zu Slidegitarre. Da verpasst er den pünktlichen Einsatz und legt zwar kein perfektes, aber absolut emotionales Solo vor, das ich so noch nicht gehört habe.
    • Dazu ein alternatives Outro mit der Akustikgitarre in Double Time. Ob gelungen oder nicht, mag jede/r selbst entscheiden. Neu ist aber, dass Rick (oder Carin?) die letzten Noten des Outros gehören und die Gitarre schweigt. Perfekte Symbiose. Das Stück ist für mich die Offenbarung des Rehearsals.
  3. Vor Breathe:
    • Kleine Einlage von Gary Wallis
  4. Breathe 2:14
    • David scheint abgelenkt zu sein, singt nicht immer direkt ins Mikrofon, muss zwischendurch lachen.
  5. Time & Breathe Reprise 6:10
    • Rick verpasst seinen Gesangseinsatz.
    • Im Solo tritt David 2x kurz auf das Whammy Pedal, wie in Marooned oder in The Blue. Das habe ich in Time aber noch nie gehört.
    • Schlagartiges Ende.
  6. The Great Gig in the Sky 5:29
    • Wahrscheinlich singt Sam Brown. Ähnlich wie bei High Hopes ist hier die Mikrofonaufnahme und die Nähe der Hammer.
    • Am Ende dann Gekicher und Gelächter der Background-Sängerinnen.
  7. Lost for Words 8:09
    • Kleiner Texthänger.
    • Tolles Akustiksolo mit sich zunehmend verstimmender Gitarre, die danach auch gleich wieder in Stimmung gebracht wird.
  8. Wish You Were Here 5:01
    • Direkter Einstieg mit zwei Gitarren ohne das bekannte Intro. Leider fehlt ein Stück von der Aufnahme.
  9. Money 4:25
    • Ein bislang mir unbekanntes Intro mit den Geldgeräuschen.
    • Der Lear Jet-Zeile hängt David ein “Yes I Do” an.
    • Abruptes Ende.
  10. Us and Them 8:10
    • Irgendwie fehlt David da wieder der Text und verändert ihn auch. (Singt UP AND “SIDEWAYS”)

Noch ein Tipp, solltet Ihr reinhören: Nehmt Euch Zeit, nicht übers Handy. Gute Anlage oder Kopfhörer. Und vom 16.3.1994 in San Bernadino gibt es von den Tourproben wohl noch eine ähnliche Aufnahme. Da habe ich aber noch nicht reingehört.

Pink Floyd 6.5.1994 Tampa, Stadium

Konzert-Statistik:

  • Tournee: The Division Bell Tour
  • Termin: 6.5.1994, Freitag
  • Spielstätte: Tampa Stadium (1999 abgerissen)
  • Besucher: 70.000
  • Adresse: 4201 North Dale Mabry Highway, Tampa
  • Ticket: $35
  • Einlass: 18 Uhr | Showtime: 20:30 Uhr

Pink Floyd:

  • David Gilmour: Guitars, Lead Vocals, Talk Box
  • Rick Wright: Keyboards, Vocals
  • Nick Mason: Drums, Percussion, Gong

With:

  • Jon Carin: Keyboards, vocals
  • Guy Pratt: Bass, vocals
  • Gary Wallis: Percussion, Drums
  • Tim Renwick: Guitars, Backing Vocals
  • Dick Parry: Saxofon
  • Sam Brown: Backing vocals
  • Claudia Fontaine: Backing vocals
  • Durga McBroom: Backing vocals

Setlist:

Set 1:

  1. Astronomy Domine
  2. Learning To Fly
  3. What Do You Want From Me
  4. On The Turning Away
  5. Take It Back
  6. A Great Day For Freedom
  7. Sorrow
  8. Keep Talking
  9. One Of These Days

Set 2:

  1. Shine On You Crazy Diamond (Parts 1-5)
  2. Breathe
  3. Time
  4. Breathe Reprise
  5. High Hopes
  6. Great Gig In The Sky
  7. Wish You Were Here
  8. Us And Them
  9. Money
  10. Another Brick In The Wall (Part 2)
  11. Comfortably Numb

Encores:

  1. Hey You
  2. Run Like Hell

13 Antworten

  1. Werner Werner sagt:

    Vielen DANK Patrick für deine Recherchen und diesen Bericht! Ich mag diese Art Rückblicke sehr. Best wishes!

  2. Avatar Philipp sagt:

    Wow, vielen Dank für den tollen Tipp! Der Sound ist wirklich toll und die Performance sehr interessant. Ich freue mich immer wieder über so kleine Details. Schönen Start in die Woche!

  3. Avatar Michael H. sagt:

    Wo kann ich mir das anhören?

  4. Avatar GerdM sagt:

    Guitars101: pink-floyd-just-warmin-up-1994-tampa

  5. Avatar Philipp sagt:

    Das gehört zwar nicht in diese Rubrik aber ich habe am Wochenende eine Weile über die neue KI Technolgie sinniert, mit der die Beatles ihre neue Single auf den Weg gebracht haben. So wie ich das verstanden habe, lassen sich einzelne Stimmen (dann wahrscheinlich aber auch Instrumente) sauber aus den ursprünglichen Aufnahmen extrahieren und von Umgebungsgeräuschen sauber trennen.
    Was wäre da wohl alles möglich, wenn Pink Floyd sich nochmal richtig reinknien würden.
    Vielleicht könnte man aus den besseren Bootlegs auch endlich offizielle Veröffentlichungen zaubern, die den Ansprüchen der Herren gerecht würden.
    Das wäre doch der Hammer!
    Ich finde das unglaublich spannend und spinne mir in einem Kopf schon alle möglichen Mitschnitte zusammen.
    Was haltet ihr davon? Nur Spinnerei oder realistischer Ausblick?

    • Werner Werner sagt:

      Hi Philipp, das sind überhaupt keine Spinnereien, sondern ganz folgerichtige Überlegungen, die sicher noch Thema werden. Danke für das Teilen deiner Visionen!
      Wir haben das hier schon mal etwas angerissen: Rick Beato sprach mit ABBA’s Björn Ulvaeus über AI-Revolution in der Musikbranche

    • Avatar Michael We sagt:

      Hallo Philipp,
      das ist seit einigen Jahren schon grundsätzlich möglich und wird jetzt durch AI immer besser werden. Ich habe das Programm “Spectrasonics” von Steinberg und das zerlegt mir jetzt schon jede mp3 in Gesang, Bass, Schlagzeug, Gitarren, Keyboards. Die Ergebnisse variieren, aber wir können mit der Band z.B. mehrstimmige Gesangsparts viel besser einstudieren. Manchmal staune ich selbst, was da heute schon für Normalanwender möglich ist.

  6. Avatar Patrick sagt:

    Hallo Philipp, ich hatte mir mal eine Demo-Software installiert, damit ich für Backing-Tracks einzelne Instrumente extrahieren kann. Dort konnte man ein mp3 einlesen und die KI-Software hat einem dann die Spuren aller Instrumente separiert. Das war zwar nicht perfekt. Aber in 2-3 Jahren wird das schon wieder ganz anders aussehen.

  7. Avatar Philipp sagt:

    Vielen Dank für das Feedback und für die zusätzlichen Infos. Wirklich spannend, welche Möglichkeiten sich da vielleicht noch ergeben werden. Hoffentlich fühlt sich jemand im Floyd Camp dazu berufen.

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