„Syd Barrett was such a genius!“ – auf Spurensuche nach Pink Floyd in den Abbey Road Studios

Besuch des Studio 2 im Rahmen der Stories in Sound-Reihe am 4. August 2024 in London
Von Robert B. Shrestha
Rückblick – Sunday afternoon. Abbey Road? Yeah!
Das Frühjahr 2024 steckte voller Überraschungen: David Gilmour kündigte ein neues Album mitsamt Tour an, deren Auswahl an Spielstätten den Konzertwilligen in diesem Jahr leider viel Aufwand abverlangte. Aus zeitlichen Gründen musste ich mich entscheiden: Rom musste zugunsten von London weichen und die Royal Albert Hall überreichte den Staffelstab an die legendären Abbey Road Studios. Moment, wie bitte?!
Ja, 2024 verzichtete ich tatsächlich auf David Gilmour und entschied mich dazu, stattdessen die Vergangenheit von Pink Floyd zu erkunden – mit einem einzigartigen Blick hinter die Kulissen der Abbey Road Studios in London.
Stories in Sound – Inside Abbey Road
„Your visit at Abbey Road usually ends at the front gate“. So beschreiben die Moderatoren Kevin Ryan und Brian Kehew anekdotisch, was in der Regel passiert, wenn man als normaler Besucher die Abbey Road Studios in London besucht. Doch das hält die ca. 100.000 Besucher im Jahr nicht ab für einen Gang über den denkmalgeschützten Zebrastreifen aus aller Welt anzureisen.
Ryan und Kehew sind die Moderatoren des Abends und die Autoren des Buches Recording the Beatles und sorgen damit bei den zirka 130 Personen starken Publikum für Gelächter, zumal sie auch als US-Amerikaner über ein britisches Musikstudio referieren dürfen – einem Ort, an dem wohl kein hallendes Lachen besser klingen dürfte als sonst irgendwo anders auf dieser Welt.
Wir sind hier in Studio 2 und „Stories in Sound“ heißt die Reihe, die vom 2. bis 4. August 2024 mit sechs dreistündigen Slots über ein gesamtes Wochenende die Türen für zahlende Gäste öffnete. Der Ticketpreis war hoch (zwischen 180 und 200 GBP), jedoch in meinen Augen eine bessere Investition als beispielsweise in eine Replika der originalen EMI-Tape-Box eines bekannten Albums von Pink Floyd (Link).
Ein (fast) ganz normaler Nachmittag in St. John’s Wood
Es geht ein leichter Wind an dem warmen Spätnachmittag in St. John’s Wood. Touristen, die auf der lebhaft befahrenen Abbey Road in London das Coverfoto des letzten Albums der Beatles nachstellen.
Mein bis dato fünfter Besuch sollte speziell werden. Auffallend war dieses Mal die große Anzahl an Securities in schwarzen Anzügen, die auf dem abgesperrten Parkplatz vor dem weißen gregorianischen Gebäude aus dem 18. Jahrhundert standen. Um 17:15 Uhr geriet die Warteschlange in Bewegung: QR-Code scannen und ab durch das schwarze Eisentor.


Der Besucherpass wurde mit der Bitte ausgeteilt, diesen stets sichtbar um den Hals zu tragen. Der Moment war da und die Besucher wurden dazu aufgefordert das Gebäude über die legendäre Treppe zu betreten: Die Stufen, auf welchen bereits die Beatles tanzten, Rick Wright saß und David Gilmour Zeitung las. Die Securitys ermutigten die Besucher auf dem sonst abgesperrten Parkplatz zu verweilen und halfen sogar beim Fotografieren aus.
Acht Stufen in eine andere Welt
Im flotten Schritt ging es die Eingangstreppe zu den Studios hinauf. Gleich hinter der massiven Doppeleingangstür aus Holz ging es rechts zur Rezeption mit der Medaillenwand, welche die Namen der bereits beherbergten Künstlerinnen und Künstler verewigte. Der Korridor war vereinzelt mit signierten Postern von Hollywoodblockbustern verziert, deren Soundtrack in Studio 1 aufgenommen wurde. Geschwängert von Gedanken und Emotionen bleibe ich an einem weiteren roten Schild mit weißer Schrift stehen und halte inne. Es sagt: Studio 3.
„Would you get me, a fruit pie, and cream? […] And not the corner piece!“ – Nick Mason
Die Tür ist mit einem Kartenschloss versehen und brauche einen Moment um zu begreifen, was in dem Raum hinter dieser Tür aufgenommen wurde und bleibe kurz wortlos stehen. Zu gerne hätte ich einen Blick in das Studio 3 geworfen, den Ort in dem so viele Alben von Pink Floyd für die Ewigkeit konserviert wurden. Man kann es sich heute nur schwer vorstellen, wie es Syd Barrett 1975 bis zu diesem Punkt ins Studio vorzudringen. Er wäre heute wohl spätestens an der Rezeption freundlich abgewiesen worden.
Ich steige gedanklich und physisch tiefer in die Welt des Studios ein. Ich folge dem Korridor weiter und gehe dann rechts die Treppenstufen hinab.
Doch der Rausch wurde wenige Momente später unterbrochen: klapperndes Geschirr und Besteck und ein Wust an murmelnden Stimmen. Es handelte sich um die hauseigene Kantine im Untergeschoss der Abbey Road Studios, die sich auf dem Weg zur Keramikabteilung befanden. Durch die kleinen Fenster der Doppelschwingtüren könnte man das Treiben in der Kantine beobachten. Es war schließlich Zeit für das Abendessen und es herrschte ein reger Betrieb. Es gingen verschiedene Personen ein und aus und die Stimmung erinnerte an eine Betriebskantine zur Mittagszeit, die mich für dann für einen kurzen Moment vergessen lässt, wo ich gerade bin. Ohne Frage: Das Studio lebt und es rund um die Uhr hart gearbeitet und … gegessen.
Doch auch hier in der Kantine spielten sich in den 70ern legendäre Szenen fernab von den Recording-Sessions ab. Nick Mason, der gerne auf Rand- oder Eckstücke beim Kuchen verzichtet oder auch der junge Paul McCartney, der an diesem Ort (vor dem Durchbruch der Beatles) von der Tea-Lady in der Kantine gemustert wurde, bevor er sich überhaupt einen Kaffee bestellen konnte. Die Magie des Ortes zehrt ohne Zweifel von der Vergangenheit.
Wenn die Grenzen zwischen Vergangenheit und Gegenwart verschwinden
Die Tür zum Studio 2 wirkte schon fast wie der Eingang zu einem Zeitportal. Wenige Meter durch einen schwach beleuchteten Korridor es dem Licht am Ende entgegen: „Wir sind hier.“

Hohe Decken, gedimmtes orangefarbenes Licht, kombiniert mit Rottönen, eingetaucht in den warmen Schein alter Vintage-Scheinwerfer und akustisch umgarnt von Ambient-Klängen – begleitet von einem schon fast ehrfürchtigen Murmeln der Besucher: So lässt sich die Atmosphäre des Raumes mit der charakteristischen Holztreppe beschreiben, die schon fast majestätisch entlang der Wand zum Mixerraum des Studio 2 führt. Auch der Geruch, der in der Luft liegt – unbeschreiblich, jedoch genau so wie man es sich vorstellen würde.

Ich nahm mir einen Moment Zeit und beobachtete die Gesichter der Menschen, die das Studio betraten. Ein älterer Mann atmete seufzend aus und blieb mit leicht geöffnetem Mund stehen. Es waren Emotionen am Werk und unzählige Erinnerungen, die in diesem Moment in Rekordzeit vor dem inneren Auge abgespielt wurden und in Sekundenbruchteilen Brücken zwischen Vergangenheit, Gegenwart, Traum und Realität bauten.
Ein lebendes Museum
Ringsum waren allerlei Instrumente und Aufnahmeequipment ausgestellt, die einen Ausschnitt der Geschichte des ersten Tonstudios der Welt repräsentierten und größtenteils noch immer funktionsfähig sind.

Studio 2 fühlt sich an wie ein großes Wohnzimmer und es lässt sich gut verstehen warum die Beatles teilweise dort sogar wohnten. Hier waren von der Außenwelt isoliert und konnten ihrer Kreativität freien Lauf lassen. Diese Wohnzimmeratmosphäre unterstreicht den familiären Charakter des Abends. Tatsächlich ist alles im Studio 2 für die Besucher begehbar, sogar die Echokammer und der Mixerraum mit dem großen Fenster zum Studio. Stets anwesend waren auch die freundlichen Studiomitarbeitenden, die alle Fragen zu der endlosen Anzahl an Geräten (u.a. einen Fairchild-Kompressor) beantworteten.
Stories in Sound – ein „immersives“ Abendprogramm
Kurz vor 18 Uhr war es Zeit die Plätze einzunehmen. Nun wurde wieder absolutes Fotografier- und Filmverbot angeordnet und es folgte eine audiovisuelle Zeitreise mit Highlights aus der Geschichte der Studios.

Die Anfänge und ersten Erfolge des Studios waren die Wurzeln des heutigen Musikbusiness. Daher war es kaum zu begreifen, dass sich Abbey Road nach den Erfolgen der Beatles und Pink Floyd Ende der 70er zeitweise neu erfinden musste. So wurde das Studio 2 tatsächlich in der Krise in den 80ern von Mitarbeitenden als Sport- und Lagerhalle oder auch als Werkstatt für private Reparaturen genutzt. Der Umbau von Studio 1 zu einem Studio für Filmmusik inkl. Leinwand und die Öffnung der Studios für Popmusikkünstler sicherte die Existenz des Studios in seiner heutigen Form.
Das Abendprogramm wurde während den 1,5 Stunden mit einem Streichquartett, einem Pianisten und Akustikgitarristen zeitweise mit Live-Einlagen klanglich untermalt. Diese platzierten sich dabei im gesamten Raum und machten somit auch das Publikum zum Teil der Bühne.
„Anyone who can play the piano. At least a little bit?“, rief einer der Moderatoren ins Publikum und es fand sich eine Handvoll freiwilliger Gäste, die schließlich an den ausgestellten alten Tasteninstrumenten für ein kleines Live-Experiment ihren Platz einnehmen sollten. Auf Kommando sollten diese nun die markierten Tasten der Instrumente bespielen. Es folgte ein „Three, Two, One!“ und ein vertrautes „BÄMMM!“ knallte wuchtig durch den Raum, und formte den Schlussakkord von „A Day In The Life“ der Beatles formte. Sagenhaft!

Von den ausgestellten Tasteninstrumenten war vor allem das Schiedmayer Celeste mit Hinblick auf Pink Floyd wichtig. Dass das „himmlisch“ anmutende Geklimper aus den ersten Sekunden von Time von eben diesem Instrument kam, macht kurz sprachlos. Noch mehr, dass das Celeste bis heute noch immer für Aufnahmen genutzt wird, zeitweilig auch für die ersten Klänge des Harry Potter Soundtracks von John Williams und für Baby It’s you und Goodnight von den Beatles.

Die Tatsache, dass es auf der Welt technisch besser ausgestattete Studios gibt, wird an dem Abend oftmals erwähnt. Deshalb muss sich auch dieses einzigartige Studio den Herausforderungen der Zukunft stellen und dessen Magie lukrativ nutzen: Merchandise, Weiterbildungen (Abbey Road Institute) und auch exklusive öffentliche Veranstaltungen (wie diese hier) sind ein notwendiger Teil dieser Überlebensstrategie. Dabei können sich die Abbey Road Studios auch nicht vor digitalen Trends drücken (Entwicklung von DAW-Plugins, Sampling von Instrumenten, digitale Innovationshubs zur Zukunft der Musikproduktion wie Abbey Road Red), um sich auch zukünftig in der digitalen Musikwelt zu behaupten.
Special Guest: „How is it possible to record that noise?“ – Jeff Jarratt
Mit der Einladung eines Special Guests bricht der letzte Teil des Abends an. Die Wahl fiel an diesem Abend auf den ehemaligen Toningenieur Jeff Jarratt, der für einen kurzen Dialog auf die Bühne geholt wird.
Der Londoner war unweit der Abbey Road Studios zur Schule gegangen. Die Tätigkeit des Toningenieurs war zu dieser Zeit eine Art Ausbildungsberuf mit lausiger Bezahlung. Jarratt begann 1966 mit 17 Jahren in den Studios zu arbeiten. Es war die Geburtsstunde der experimentellen und psychedelischen Rockmusik. Er erzählte, wie er einem Konzert der frühen Pink Floyd mit Syd Barrett beiwohnte und das Konzert völlig fragend verließ – wie man es denn wohl schaffen könne, so einen „Krach“ aufzunehmen. Dennoch entpuppte sich die Arbeit mit Pink Floyd als sehr fruchtbar und mündete in den Aufnahmen zu The Piper at the Gates of Dawn.
Über die Arbeit im Studio mit den frühen Pink Floyd verriet er an dem Abend nicht besonders viel, was auch in Anbetracht der vergangenen Zeit und der Vielzahl an Projekten mit anderen großen Namen verständlich ist (siehe: My Abbey Road with…Jeff Jarratts). Auffallend ist dann doch, dass er über die Zusammenarbeit mit Syd Barrett mehrmals betont, dass dieser in Jarratts Augen „…, such a genius!“ war, bevor jener im Sog der Zeit verschwand.
Zurück in die Gegenwart
Es war bereits 19:30 Uhr. Angekommen in der Gegenwart blieb nun noch etwas Zeit das Studio zu erkunden. Unter den Besuchern war auch Hugh Harris von The Kooks zu entdecken. Ich kam noch mit einem Briten ins Gespräch, der mich darum bat ein Foto von sich vor den ausgestellten Tasteninstrumenten zu machen. Darauf überkam es ihn emotional und stieg über die Absperrung, um an dem Challen Piano (u.a. genutzt auf dem White Album der Beatles) loszulegen. Ich filmte ihn, wie er für ein paar Sekunden zu George Harrison wurde und gratulierte ihm danach: „You’ve finally made it, to play and record at Abbey Road!“. Er konnte sein Glück kaum fassen.
Ich gönnte mir noch einen letzten Blick in die Echokammer und stieg die legendäre Holztreppe ein letztes Mal hinauf, um nochmals etwas von der Studioatmosphäre im Mixerraum aufzusaugen. Der Weg zum Ausgang erfolgte deshalb sehr achtsam. Vor den Treppen machten mein Bruder und ich noch ein gemeinsames Foto und verweilten noch etwas auf dem Studioparkplatz, auf dem das Radio-Intro von Wish you were here entstand, und verließen den Mikrokosmos durch das Eisentor.

St. John’s Wood. Es war noch hell und auch die Stimmung am Zebrastreifen hat sich etwas gelegt. Es war nicht nur ein besonderer Abend. Es war eine Zeitreise: eindrucksvoll, inspirierend und surreal. Die Erinnerungen an diesen Abend sollten noch sehr lange nachwirken.
Vielen Dank, Robert!
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Toller Bericht Robert! Auch die Fotos sehr cool! Würde wohl Manchen noch interessieren, so hinter die Kulissen blicken zu können, geschweige denn bei einer Recordingsession anwesend zu sein. ich hoffe, du kommst noch dazu, die dafür entgangenen Gilmourkonzerte nachzuholen!
Phantastisch!