Roger Waters MSG, NYC, 30. & 31. August 2022

Von Richard Fischer

Prolog:

Seit nun mehr als 38 Jahren besuche ich die sagenhaften und einmaligen Livekonzerte von Roger Waters. Von 1984 bis zum Ende der Dark Side Tour in 2008 hat er sich visuell als auch verbal zurückgehalten und praktisch nur seine Lyrics sprechen lassen. Danach hat sich ein Wandel vollzogen. Mit den Wall Shows, von 2010 bis 2013, hat sich das geändert. Das vor allem optische, politische Bombardement hat man einer Modernisierung der generellen Wall-Thematik zugeordnet. Was man bei den Wall Shows, im Vergleich zu dem was noch kommen sollte, noch als eher „dezent“ bezeichnen könnte ist dann bei der Us & Them Tour sowie jetzt bei TINAD extrem in den Vordergrund getreten. Roger selbst ist es wohl sehr bewusst, dass dies abstoßen und verstören kann, er warnt ja ausdrücklich kurz vor Konzertbeginn. Dies ist aber eher zynisch, denn da ist’s ja schon zu spät, man sitzt ja schon in der „Crowd“ nach manchmal mühsamer Anreise und dem damit verbundenen gesamten Aufwand und freut sich auf ein einmaliges Event.

Was soll man also tun?

Wenn (!!) man es schafft sich von der (vermeintlichen?) Gehirnwäsche zu befreien, sei es, weil man die selbe Meinung teilt, oder weil man sehr, sehr tolerant gegenüber der Meinungsäußerung Anderer ist und selbst in jedem noch so un(!!)balancierten Detail noch versucht das Nachvollziehbare zu finden (auch wenn dieses meist gut versteckt zu sein scheint) – wenn man das schafft –  dann kann man das, was sich über zweieinhalb Stunden abspielen wird, in vollen Zügen genießen.

Venue:

Für mich zum ersten und zum letzten Mal im MSG, dieser wird ja wohl in 2023 abgerissen um die Penn-Station umzubauen. Eine sicherlich ehrwürdige, im klassichen amerikanischen Stil gehaltene Veranstaltungsstätte und ein Heimspiel für Roger, was man ihm auch anmerkt, er fühlt sich hier sichtlich wohl. Füllstand, so wie GeckoFloyd schreibt, wohl gut über 80 %. Man konnte noch für beide Abende in praktisch allen Kategorien digitale Zutrittsberechtigungen erwerben. Ich bin spaßeshalber mit meinem zu Hause ausgedruckten Ticket rein, selbst wenn der junge Mann im Box-Office mich entgeistert gemustert hatte und gesagt hat, das wäre sehr befremdlich, wenn das funktionieren würde…hat es aber.

Kurz vor Konzertbeginn wieder ein Hauch von dem Floyd-typischen Pre-Concert Atmos-Sound, allerdings außer entferntem Donnergrollen nichts Weiteres auszumachen. Auch ja, der Meister meldet sich höchstpersönlich 3x vom Band, mahnt zur Eile und warnt eben vor seinen „Politics“…

Konzertstart:

Das entfernte Donnergrollen ist nähergekommen und mit wirklich extrem lautem Gewitterkrachen beginnt die Show mit der Darstellung einer futuristischen, wie schon mehrfach berichtet, dystopisch wirkenden Stadt die an Endzeitszenarien erinnert. Das was dann folgt ist bereits ein absolutes Highlight. Diese puristische Version von Comfortably Numb geht durch Mark und Bein und begeistert alle. EINMALIG.

Setlist:

Auf den ersten Blick könnte man sagen, nun ja, war ja alles schon oft und öfter präsent. Auf den zweiten Blick erkennt man dann, dass hier mit Fingerspitzengefühl und Liebe (zum Detail) zusammengestellt und edel abgestimmt wurde, denn Roger webt ein den Beobachter & Zuhörer einfangendes, umhüllendes Netz, eine fesselnde Story von Anfang bis zum Ende. Fast entschuldigt er sich nach TPTB und TBOBOOR für den drastischen Auftakt und fädelt mit dem Anfang der zweiten Seite von WYWH eine familiäre, sehr intime Stimmung ein, denn er gibt viel Privates von Syd und vor allem von sich selbst preis (Verlust, Trennung, Nervenzusammenbruch mit Wahnvorstellungen). Das faßt einen an, vor allem kombiniert mit einem genial gespieltem WYWH und dem zweiten Teil von Shine-On. Auch das wieder ein bejubeltes Highlight. Einfach nur perfekt.

Was besonders stark wirkt, ist die extrem kraftvolle (Db-)Präsenz der Band, die unter dem, nach CN, in die Höhe gelifteten „Mr. Cross“ mit hoher Professionalität perfekt zusammen spielt aber auch individuell toll performed. Hier kann man zur U&T-Tour nochmal eine Steigerung erkennen. Das erste Set endet mit dem nächsten Top-Highlight: Sheep und dem nun neuen Familienmitglied Brian, the flying Sheep.

Nach der Pause kracht ITF so brutal rein, daß so manchem sein Bier über die Beine geht. Crossed-Hammer-Banner rollen von oben herab, zum Greifen nah. Konsequent geht es dann mit RLH weiter und bringt die Hütte absolut zum Kochen. Der optischen Darstellung, im Vergleich zu den Wall-Shows und der U&T-Tour, steht die hier verwirklichte, moderne Version von Mr. Screen (sowie der „Mauer“) in nichts nach. Die Halle wird durch die schwebende LED-Mauer dominiert. Man vergisst zuweilen sich auch der Band zu widmen, man wird eben entsprechend abgelenkt. Aber wenn es einem zu viel wird, weil zu viele sehr rasch wechselnde Bildsequenzen oder zu viel „Brainwash“, dann blickt man eben auf die darunter perfekt spielenden Protagonisten um sich etwas zu erholen. Das Konzept geht voll auf. Wieder eine herausragende Produktion.

Sitzplatz:

Ist jedermanns Geschmacksache. Ich bin an beiden Abenden in spitzem Winkel zum mittleren, kürzeren LED Ausleger gesessen. Nicht auf Arena-Ebene (das wäre m.E. zu tief), jeweils in etwa mittig im ersten schrägen Block.

DV und ITTLWRW holt dann das Publikum mit leiseren Tönen wieder ab um in den DSOTM-Block überzuleiten. Any Color You Like hat sich optisch zur 2006 – 2008 Version verändert. An statt der psychedelischen, krass-bunten Graphics von damals werden nun „people of different color gezeigt“. Roger eben.

Die Video Sequenz bei Eclipse fand ich sehr gelungen, nicht zuletzt hier zeigt die neue Video-Wall ihr volles Potential. Dem Bühnenaufbau geschuldet mussten die Prismen nun parallel und mehrfach „aufgestellt“ werden. Mein Favorit hier ist, und bleibt, das sich erhaben drehende Prisma der 2006 – 2008 Tour.

Wenn er noch länger mit neuen Programmen touren sollte, schafft es Roger wohl noch alle Titel von TFC zu spielen. So einige sind über letzten 42 Jahre schon zum Besten gegeben worden. TSITS wurde von ihm wortreich angekündigt um dann selbst zu zugeben: ich rede zu viel…

Umsetzung des Songs: Bleibender EIndruck. Allerspätestens jetzt erkennt jeder der zusieht und zuhört, dass in praktisch allen Lyrics und den damit verbundenen Arrangements Roger seit nunmehr über 55 Jahren sein Anliegen von Frieden, Gerechtigkeit und Liebe mit seiner Kunst transportiert. Vor allem die immer stärker werdende intensive graphische Begleitung macht dies unausweislich klar. Er nutzt nun Techniken, die es vor Jahrzehnten nicht gab und damals haben sich die (gleichen) Botschaften so manches Mal eben hinter wundervollen, lieb gewonnenen Melodien versteckt.

Der zweite Teil vom intensiven und ruhigen TB ist das Prelude für einen unfassbar genialen, anrührenden und einmaligen Übergang zu OTW.

Besser und liebevoller kann ein Konzert nicht enden.

Epilog:

Roger kommuniziert und spricht viel mit dem Publikum. Er macht einen sehr authentischen Eindruck. Er schafft es trotz den vielen, vielen Botschaften und erhobenen Zeigefinger(n) eine private und intime Atmosphäre zu schaffen, weil er viel von sich preisgibt. Das ganze Set, das komplette Konzert ist eine logische Einheit aus einem perfekt koordinierten Guss. Das Publikum dankt ihm diesen roten Faden. An beiden Abenden hatte man das Gefühl einer Gemeinschaft, einer Verbindung.

Ich bin nun zum fünften Mal zu einer RW-Tour in die Staaten gereist (1999, 2000, 2010, 2012 und nun 2022). Ob ich ihn nochmal sehen werde? Wer weiß das schon. Auf jeden Fall hat es sich wieder voll und ganz gelohnt, nicht zuletzt und ganz besonders (!!) auch wegen der gemeinsamen Zeit mit Herrn GeckoFloyd!

Konzert-Statistik:

Spielstätte: Madison Square Garden
Plätze: 20.000
Adresse: 4 Pennsylvania Plaza, New York
Tickets: $40 bis $599
Einlass: 19:00 Uhr | Showtime: 20:00 Uhr
Corona-Verschiebung: .8.2020 → 31.8.2022

Band:
Roger Waters: Vocals, Bass, Piano, Guitar
Joey Waronker: Drums
Jonathan Wilson: Guitars, Vocals
Gus Seyffert: Guitars, Bass, Harmonica
Dave Kilminster: Guitars, Bass, Backing Vocals
Jon Carin: Keyboards, Guitars, Backing Vocals
Robert Walter: Keyboards
Amanda Belair: Vocals
Shanay Johnson: Vocals
Seamus Blake: Saxophon

Songs von folgenden Alben wurden gespielt:

Roger Waters - Radio Kaos (1987)
Amused To Death (1992)
Dark Side Of The Moon
The Final Cut (Reissue)

Setlist:
Set 1
01. Comfortably Numb (reworked, rebuilt Version)
02. The Happiest Days of Our Lives
03. Another Brick in the Wall (Part 2)
04. Another Brick in the Wall (Part 3)
05. The Powers That Be
06. The Bravery of Being Out of Range
07. The Bar (new Song) 4:20
08. Have a Cigar
09. Wish You Were Here
10. Shine On You Crazy Diamond (Parts 6-7-5)
11. Sheep (Flying Sheep Brian)

Set 2
12. In the Flesh 4:50
13. Run Like Hell (Flying Pig)
14. Déjà-vu
15. Is This the Life We Really Want? (Live-Premiere)
16. Money
17. Us and Them
18. Any Colour You Like
19. Brain Damage
20. Eclipse
21. Two Suns in the Sunset
22. The Bar (Reprise)
23. Outside the Wall

12 Antworten

  1. Avatar Richard sagt:

    MSG, NYC, 30. und 31. August 2022

    …………………….

    • Ina Ina sagt:

      Toller Bericht!!! Vielen Dank!
      Ein paar weniger Abkürzungen wären schön gewesen, denn nicht alle Fans (mich eingeschlossen), die Pink Floyd und Rogers Solowerke lieben, kennen sich diesen Abkürzungen aus.
      Bleibt zu hoffen, dass Roger Waters so fit und agil bleibt, so dass wir ihn im nächsten Jahr in Europa sehen können.

    • Avatar Marius sagt:

      Vielen Dank für diesen ausführlichen Bericht! Da bekomm ich direkt mehr Lust auf die Tour und hoffe dass die wie erwartet eben auch nächstes Jahr nach Europa kommt.

  2. Avatar Alois sagt:

    Danke Richard, das liest sich super! Hat mir auch Erinnerungen gebracht an meinen ersten NYC-Aufenthalt vor fast genau 5 Jahren mit anschliessendem Besuch der beiden Shows in Boston. Was für eine Woche!! Ich freue mich jetzt schon sehr auf nächstes Jahr und hoffentlich viele Shows in Europa.
    Schön, dass euch diese Version von Comfortaby Numb auch gefallen hat, von dem was ich bisher online gesehen habe, bin ich ebenso begeistert. The Bravery of being out of Range auch ganz stark! Nur The last refugee vermisse ich ein wenig.
    Jetzt bitte bald die Daten vom nächsten Jahr bekanntgeben 🙂

  3. Avatar Richard sagt:

    @ Ina: Liebe Lina, da hast Du sicher einen zutreffenden Punkt. Sorry dafür, daß ich so ein Abkürzungs-Nerd bin. Ein (wohl nicht nötiger) Hinweis zur Linderung: Die meisten Abkürzungen lösen sich beim Abgleich mit der Setlist rasch in Wohlgefallen auf.
    Herzlicher Gruß Richard

  4. GeckoFloyd GeckoFloyd sagt:

    Super tiefsinniger Bericht, Richard! Klasse! Wie wir beide es ja auch in dem Pub nach den beiden Konzerten auf ein paar Drinks philosophiert hatten 😉 Die Show das zweite Mal – und von besserer Sicht – zu sehen, hat mir viel bedeutet. Ich konnte mich emotional mehr hingeben. Allein auch nochmal die Chance vom Original-Ex-Floyd-Member Dark Side-Songs zu erleben hat es gelohnt. Ich hoffe, er kommt nach Europe und ich werde voraussichtlich nochmal alles „mitnehmen“ was geht und möchte wetten, dass wir uns dann wieder in dem ein- oder anderen Konzert treffen. Cheers.

  5. Avatar Raoul sagt:

    Prost GeckoFloyd.

  6. Avatar ChrisHB sagt:

    Ein wirklich toller Bericht. Ich gehöre zu denjenigen, die am Anfang der Show wahrscheinlich den Impuls der Aufforderung doch einfach an die Bar zu gehen durchaus wahrnehmen und trotzdem bleiben würden. Mir sind die verbalen Attacken in Richtung Pink Floyd, David Gilmour und jedem der ihm in oder gegen den Sinn kommt zu heftig – auch wenn ich den Widerstand gegen Trump damals sehr respektabel fand. Das hatte immer schon ein mulmiges Gefühl verursacht – zuerst bei der großen Wall-Show in Berlin. Da war schon alles ein Kuddelmuddel aus überhöhtem Selbstbewusstsein, Charity und Größenwahn. Ich weiß noch, wie mich das ganze Gebahren damals irritierte. Und so war für mich klar – dass ich diese aktuellen Konzerte sicher nicht besuchen würde. Der Konzertbericht bestätigt mich in meiner Meinung und schafft es doch mich irgendwie mich dem alten grummelnden Mann zu versöhnen und zu respektieren, dass er nach wie vor ein großartiges Erlebnis schafft. Ich habe die Sätze verschlungen. Vielen Dank.

  7. Avatar Richard sagt:

    @GeckFloyd:na klar, laß uns auf 2023 hoffen und sehen wo wir uns dann überall treffen werden. Ich hoffe ihr habt noch eine gute Zeit und ein problemlose Rückreise. Mein Rückflug am Donnerstag wurde annulliert. War dann sehr (an)spannend…

  8. Avatar Richard sagt:

    @ChrisHB: Dein Feedback hat mich sehr beeindruckt. Vielen Dank dafür. Wer weiß, vielleicht ergibt sich ja im nächsten Jahr die Gelegenheit sich bei dem einen oder anderen Roger Waters Event zu treffen und entsprechend auszutauschen. Würde mich freuen. Beste Grüße
    Richard

  9. Avatar Rainer sagt:

    Danke auch meinerseits! du solltest für ECLIPSED schreiben.

  10. Avatar Hanno sagt:

    @Richard, dein Bericht ist sehr lesenswert und informativ. Vielen Dank dafür. Es ist schwierig den Waters-Zwiespalt eines Pink Floyd Fans zu beschreiben, aber du findest wirklich gute Worte. Auch du kannst seine plakative Aggression nicht erklären, in dieser Ratlosigkeit sind aber viele von uns vereint. Ich weiß nun mehr denn je, dass ich 2013 das erste und letzte Mal bei RW war und bedauere ihn nicht in den 2000er Jahren gesehen zu haben.

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